Der aus Warnemünde stammende Kapitän Heinrich Podeus (* 1832, † 1905) ließ sich in
Wismar nieder und gründete hier 1870 eine Kohlen- und Holzimportgeschäft, das sich in Wismar zum
führenden Unternehmen dieser Branche entwickelte. Durch weitere Gründungen und Übernahmen begründete
er ein Firmenimperium, das die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt prägen sollte. Zu seinen Unternehmungen
gehörten u.a. ein Säge- und Hobelwerk, eine Dampfschiff-Reederei, sowie die Eisengießerei und Maschinenfabrik
"F. Crull & Co.", u.a. landwirtschaftliche Maschinen unter dem Markennamen "Obotrit" fertigte.
Alle Betriebe im Podeus´schen Besitz wurden als unabhängige Einzelfirmen geführt. Nach dem Ableben des
Gründers 1905 übernahmen dessen Söhne Heinrich und Paul Heinrich das Familienunternehmen.
Die ökonomischen Bedingungen während und nach dem 1. Weltkrieg überforderten jedoch die
finanziellen Möglichkeiten der Erben und zwangen zum Verkauf der einzelnen Unternehmen. In den
folgenden Jahrzehnten verschwand der Name Podeus vollständig aus dem Wirtschaftsleben Wismars.
Box: Automobilfabrik Paul Heinrich Podeus
Paul Heinrich Podeus gründete 1905 die "Automobilfabrik Paul Heinrich Podeus" zur Fertigung von Nutzfahrzeugen
nach Plänen des Konstrukteurs Joseph Vollmer, ab 1911 wurden auch Pkw angeboten. Produktionszahlen
scheinen nicht überliefert zu sein, größere Stückzahlen gingen an das deutsche Heer, darunter schwere
Artillerieschlepper. Darüber hinaus gab es eine rege Exportaktivität im baltischen Raum und insbesondere
Skandinavien, weiterreichende Geschäfte sind u.a. durch einen Katalog in spanischer Sprache belegt. Nach 1918
spezialisierte man sich auf die Produktion von Traktoren mit Kettenlaufwerken der Marke "Raupenschlepper"
für die Landwirtschaft und firmierte ab 1919 als "Motorpflugfabrik Paul Heinrich Podeus ". Das Werk
wurde 1920 an die "Stock-Motorpflug A.-G." in Berlin verkauft und als "Maschinenfabrik Podeus AG"
weiter geführt, die ihrerseits 1932 Konkurs anmeldete. Der Flugzeugbauer Claude Dornier erwarb 1933 den Betrieb
und gründete hier die "Norddeutsche Dornier-Werke GmbH" (NDW), wobei er große Teile der Belegschaft
weiter beschäftigte. Ein als Taxi verwendeter Pkw blieb im "Norsk Teknisk Museum" in Oslo erhalten.
Das vermutlich letzte Exemplar eines Podeus-Raupenschleppers wurde 2015 in Finnland
entdeckt und vom Technischen Landesmuseum Mecklenburg-Vorpommerns für das "phanTECHNIKUM" in Wismar erworben.
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Waggonbau
Zum Podeus´schen Besitz zählte auch eine 1894 gegründete Waggonbaufabrik, die anfänglich aus nicht überlieferten Gründen
als
Wagenbau F. Crull & Co firmierte. Bereits 1898 beschäftigte man mehr als 400 Mitarbeiter
und hatte insgesamt rund 2.500 Eisenbahnwaggons gefertigt. Hauptabnehmer war die
"Großherzoglich Mecklenburgischen Friedrich-Franz-Eisenbahn" (M.F.F.E.), bei der die Wismarer als
Hauslieferant galten. Das Unternehmen firmierte ab 1907 als
Waggonfabrik Wismar GmbH und wurde
1911 in eine AG gewandelt. 1917 übernahm die
Deutsche Waggonleihanstalt AG" die Aktienmehrheit
und verschmolz beide Gesellschaften zur "Eisenbahn-Verkehrsmittel AG (EVA). So konnte man die
zu verleihenden Waggons selbst herstellen und brauchte diese nicht mehr einzukaufen. In guten Jahren zählte
die Belegschaft rund 1.300 Arbeiter und 150 Angestellte, im Krisenjahr 1930 blieben nur 300 Arbeiter und 60 Angestellte.
1936 wurde das Wismarer Werk und der Waggonbau wieder als eigenständige Tochter aus der EVA ausgegliedert
und firmierte nun als
Triebwagen- und Waggonfabrik Wismar AG. Das Eisenbahngeschäft wurde 1941
zu Gunsten der Rüstungsproduktion eingestellt und das Werk 1946 in einen Schiffsreparaturbetrieb der
Roten Armee eingegliedert. 1947 wurde das Unternehmen als "Schiffswerft Wismar VEB" in Volkseigentum
überführt und im Folgejahr aus dem Handelsregister gelöscht. Da das Firmenarchiv 1944 bei einem alliierten
Luftangriff verbrannte, läßt sich der genaue Produktionsumfang nur abschätzen. Insgesamt lieferte die
Waggonfabrik Wismar ca. 30.000 Eisenbahnfahrzeuge. Eine online zugängliche Sammlung von original
Planzeichnungen befindet sich beim Geschichtsportal
Zeitreise Wismar
im Aufbau. Der Pflege des historischen Erbes der Waggonfabrik Wismar hat sich der Verein Eisenbahnfreunde Wismar e.V. verschrieben, der mit dem
Museum
Lokschuppen Wismar eine entsprechende Sammlung aufbaut. Die Unternehmensgeschichte
im eigentlichen Sinne wartet noch auf ihre historische Aufarbeitung.
Im Portfolio der Waggonfabrik Wismar fanden sich Personen- und Güterwagen aller Art für Schmal- und Regelspur.
Als Spezialität des Hauses galten Sonderbauformen wie Kessel- und Kühlwagen sowie hochwertige Schlaf- und Speisewagen.
Desweiteren fertigte Wismar den Fahrzeugteil für zahlreiche Triebwagen und im Einzelfall der DRG E 44 001 auch für eine Lokomotive.
Die Waggonfabrik Wismar begann 1910 auch mit der Fertigung von Waggons für Straßenbahnen sowie für die
Hochbahnen in Berlin und Hamburg, wobei nur bescheidene Stückzahlen erreicht wurden. Einen weiteren
Fertigungsbereich bildeten Aufbauten für Busse und Nutzfahrzeuge sowie Anhänger und Auflieger. In allen
Fällen stammten die Antriebsanlagen von Zulieferen, ab 1933 inkl.
Gasgeneratoren vom Typ Imbert.
Eigenkonstruktionen der Waggonfabrik Wismar:
Mit der Umstellung auf Zivilproduktion nach dem Ende des 1. Weltkrieges wurde mit der
Entwicklung eines "Rohöl-Triebwagens" ein neues Geschäftsfeld eröffnet.
EVA - und damit das Werk in Wismar - war für den Fahrzeugteil verantwortlich, die Maschinenanlage
war Aufgabe der "Maybach Motorenbau GmbH" in Friedrichshafen. Letztere war durch den
Bau von Motoren für Flugzeuge und Zeppeline führend in der Entwicklung leichter, schnelllaufender
Dieselmotore. Eine entsprechende Vereinbarung wurde 1922 geschlossen und führte zum Bau des
ersten Triebwagens mit einem speziell für die Anforderungen des Bahnbetriebes konstruierten
Dieselmotor. Der Prototyp wurde 1924 fertiggestellt und auf der "Eisenbahntechnischen
Ausstellung" in Seddin präsentiert, wobei insbesondere das Antriebskonzept überzeugte.
Die DRG orderte eine weiterentwickelte Ausführung mit den Betriebsnummern DRG VT 853-861 und
VT 866-871, die allgemein als
Wismar-Maybach-Wagen
bekannt wurden. Fahrzeuge dieser Bauart wurden auch exportiert bzw. im Ausland unter Lizenz gebaut.
Neben den Vollbahnfahrzeugen machte sich die Waggonfabrik Wismar einen Namen mit eigenen
Entwicklungen von Triebwagen für Kleinbahnen in Schmal- und Regelspur, deren Bauart jeweils
nach dem Heimatort des Erstkunden benannt wurde. Den größten Bekanntheitsgrad erreichte
die zweiachsige Bauart "Hannover", deren Entwicklung für das "Landeskleinbahnamt
Hannover" als Hilfe für defizitäre Bahnen erfolgte. Tatsächlich reichten bereits 6 Fahrgäste
für einen rentablen Betrieb der Fahrzeuge aus. Durch die in Zusammenarbeit mit der
"Ingenieurschule Wismar" entwickelte Technik des Elektroschweißens konnten die
Triebwagen leicht und kostengünstig realisiert werden, die Abmessungen und die Spurweite
wurden nach Kundenwunsch ausgeführt. Für den Antriebsstrang wurden kostengünstige
Lkw-Komponenten verwendet (Motor, Getriebe, Trommelbremsen, Motorabdeckung). Der Antrieb
erfolgte durch Benzinmotore über mechanische Kupplungen und Schaltgetriebe jeweils auf die
vordere Achse. Da für die Zweirichtungswagen keine geeigneten Wendegetriebe verfügbar
waren, erhielten die Schienenbusse an jedem Ende einen Vorbau mit vollständiger Antriebsanlage
und Führerstand. Diese Anordnung hatte Spitznamen wie "Schweineschnäuzchen" oder
"Ameisenbär" zur Folge und begründete die zeitlose Beliebtheit der knuffigen
Fahrzeuge. 1932-41 wurden an deutsche Betreiber insgesamt 57 Schienenbusse der Bauart
"Hannover" geliefert, von denen rund ein Dutzend erhalten blieb. Die spanische
"Material Móvil y Construcciones" (MMC) fertigte 1933-36 in Lizenz weitere 32
Schienenbusse der Bauart "Hannover" sowie 3 Beiwagen für Meterspur und spanische
Breitspur, die nach dem Sitz des Herstellers allgemein als "Tipo Zaragoza" bekannt waren.
Für Nebenbahnen mit größerem Fahrgastaufkommen bot die Waggonfabrik Wismar vierachsige
Dregestell-Triebwagen für Schmalspur (Bauart "Frankfurt") und Regelspur
(Bauart "Mosel"), von denen jeweils rund ein Dutzend gefertigt wurden. Weitere
Bauformen erreichten nur geringe Produktionszahlen oder blieben Einzelstücke, darunter
die beiden Schlepptriebwagen mit dieselelektrischer Transmission für die
"Nordhausen-Wernigeroder Eisenbahn-AG" (NWE), bei denen die Bauartbezeichnung unbekannt blieb.
Das Triebwagenprogramm wurde ergänzt durch diverse Beiwagen.
Fahrzeuge der Waggonfabrik Wismar in Dänemark:
In
Dänemark interessierten sich die Privatbahnen
"Mariager-Fårup-Viborg Jernbane" (MFVJ),
"Hillerød-Frederiksværk Jernbane" (HFJ) und "Skagensbanen" (SB)
für die Wismar-Maybach-Wagen, von denen 1927 vier Exemplare beschafft wurden.
Wismar-Maybach-Triebwagen dänischer Privatbahnen: |
Baujahre |
Anzahl |
Betreiber |
1927 |
2 |
MFVJ M 1-2 |
1927 |
1 |
HFJ M 5 |
1927 |
1 |
SB M 1 |
Als Waggonbauer war die Waggonfabrik Wismar nur vereinzelt auf dem dänischen Markt erfolgreich,
der von dem einheimischen Hersteller Scandia dominiert wurde. Alle gelieferten Wagen waren zweiachsig,
wobei es sich mehrheitlich um Kesselwagen für Mineralölprodukte handelte, die als Privatwagen
bei der DSB eingestellt waren. Auch der in Kopenhagen ansässige Fleischgroßhändler N.P. Nielsen betrieb
einen dreiachsigen Kühlwagen von Wismar, der allerdings bei der Großherzoglich Mecklenburgischen
Friedrich-Franz-Eisenbahn (MFFE) als Privatwagen
MFFE Gnml 600 001
registriert war. Folgende Lieferungen habe ich identifizieren können (vermutl. unvollständig):
Waggonfabrik Wismar - Wagenlieferungen Dänemark: |
Betreiber |
Baujahr |
Betriebsnr. |
Bauart (Anzahl) |
DSB |
1926/27 |
DSB IKS 24 901-902 |
Kühlwagen (2) |
Århus-Hammel-Thorsø Jernbane (AHTJ) |
1914 |
AHTJ A 5, E 4 |
Personenwagen (1), Packwagen (1) |
Nakskov-Kragenæs Jernbane (NKJ) |
1915 1915 |
NKJ B 1-2, C 6-7, D 21 NKJ Q 31-35, PA 61-63, PB 81-92 |
Personenwagen (4), Packwagen (1) Gedeckte Gw. (5), Offene Gw. (15) |
Maribo-Torrig Jernbane (MTJ) |
1924 |
MTJ CA 11-12, CP 31-32 |
Personenwagen (4) |
Carlsberg Bryggerierne |
1919 |
DSB ZA 99 551-99 560 |
Bierwagen (10) |
Det Danske Petroleums A/S (DDPA) |
1919 1928 1930 |
DSB ZE 502 164-168, 175-176 DSB ZE 502 271-285 DSB ZE 502 423-433 |
Kesselwagen (7) Kesselwagen (15) Kesselwagen (11) |
Brødrene Jansen A/S |
1920/21 |
DSB ZE 503 001-010 |
Kesselwagen (10) |
Interessentskabet Benzintank-Kompagniet (BTK) |
1923 |
DSB ZE 503 403 |
Kesselwagen (1) |
Dansk-Engelsk Benzin- og Petroleums Co. A/S / Dansk Shell A/S |
1929 |
DSB ZE 502 920-929 |
Kesselwagen (10) |
Von den dänischen Wismar-Lieferungen blieben
HHJ C 27 (ex MTJ CA 11)
bei der Museumsbahn "Mariager-Handest Verteranjernbane" (MHVJ) und
DSB ZE 502 924 (Dansk-Engelsk Benzin- og Petroleums Co. A/S / Dansk Shell A/S / OK Olie A/S)
im Bestand von Danmarks Jernbanemuseum erhalten.
Quellen:
Bohlmann, Dieter-Theodor (2001): Wismarer Schienenomnibusse der Bauart Hannover. Gifhorn: Verlag Ingrid Zeunert.
Eisenbahnfreunde Wismar e.V.: www.lokschuppen-wismar.de
Happke, Mathias: Die Geschichte der Waggonfabrik Wismar. (Website offline)
Johansen, P.C. & Larsen, M.F. (2012): Restaureringsprojekt DSB ZE 502 924, Waggonfabrik Wismar 1929. Danmarks Jernbanemuseum.
Kalina, U.: Die Triebwagen der Länderbahnen und der Deutschen Reichsbahn. www.reichsbahntriebwagen.de.
N.N. (2018): Wismarer Schienenbus. Eisenbahn-Kurier Special 129.
Nielsen, Andreas (Eisenbahnfreunde Wismar e.V.): Persöhnliche Mitteilung.
Poulsen, John (1984): Motor Materiel 2: Motormateriellet fra udenlandske fabrikker før 1945. Roskilde: bane bøger.
Schultz, Lothar & Ulrich Hoeppner (1989): Die frühere Waggonfabrik Wismar. Blätter zur Verkehrsgeschichte Mecklenburgs 4. Rostock, Freunde der Eisenbahn.
Werning, Malte: www.triebwagenarchiv.de
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