1 Unternehmensgeschichte

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1.1 Historischer Hintergrund

August Borsigs Unternehmensgründung fiel in eine Zeit, die von neuen wirtschaftspolitischen Bedingungen geprägt wurde, die bisher ungeahnte Möglichkeiten schufen. Dies war zum einen die Gründung des "Deutschen Zollvereins" 1833, der die bisherige Kleinstaaterei beendete und einen einheitlichen Wirtschaftsraum schuf. Zusammen mit den neu entstehenden Eisenbahnverbindungen folgte ein lebhafter Aufschwung von Handel und Industrie. Zum anderen herrschte im Preußen dieser Zeit ein politisches Klima, daß die Gründung neuer Unternehmen ausdrücklich beförderte und eine kurze Betrachtung verdient.


Preußische Gewerbepolitik:
Zu Beginn des 19.Jahrhunderts befand sich die preußische Wirtschaft in einem prekären Zustand und drohte den Anschluß an die führenden Nationen Europas zu verlieren. Weite Bereiche waren agrarisch geprägt, das Handwerk noch im Zunftwesen befangen und die wenigen merkantilistisch geführten Manufakturen defizitär. Preußische Unternehmen erwiesen sich mit den Bedingungen freier Märkte und internationaler Konkurrenz als überfordert, unternehmerische Privatinitiative war kaum vorhanden, technologische Expertise fehlte. Demgegenüber hatte in Großbritannien bereits die Industrielle Revolution Fahrt aufgenommen, Frankreich, Niederlande und Belgien folgten auf diesem Weg. Daher formulierte Karl August v. Stein als Chef des "Fabriken-Departements" eine neue Reformpolitik, die das Bürgertum zu einem eigenverantwortlichen Unternehmertum ertüchtigen sollte. Als geeignete Mittel benannte er die Ausbildung mittels Fachschulen, das Vorweisen beispielhafter Lösungen, Fachpublikationen sowie die Finanzierung von Bildungsreisen ins Ausland. Die Reisenden wurden hierbei mit Geldmitteln versehen, um Zugang zu Fabriken etc. zu erlangen, was durchaus die Form von staatlich geförderter Werksspionage annehmen konnte. Der Kontrast der britischen Fabrikanlagen zu den heimischen Manufakturbetrieben muß für die Besucher überwältigend gewesen sein. So berichtete u.a. Peter Beuth fasziniert von gigantischen "Factoreien" mit 8 oder 9 Stockwerken und nächtlicher Gasbeleuchtung, die von einem Wald hoher Schornsteine umgeben waren. Um an solche Entwicklungen Anschluß zu finden, suchte man ausländische Fachkräfte anzuwerben wie die Brüder Cockerill aus Belgien, die 1815 in Berlin eine moderne Wollspinnerei und Maschinenfertigung errichteten. Es handelte sich hierbei ausdrücklich um einen Musterbetrieb zur Qualifizierung heimischer Arbeitskräfte und Vorbild für künftige Unternehmer. Ein gewerbliches Schutzrecht im heutigen Sinne war noch nicht bekannt und entstand in Deutschland erst 1877 mit dem Deutschen Patentrecht.

Die preußische Gewerbepolitik zeigte zunächst nur begrenzte Erfolge. Dies änderte sich, als Peter Beuth 1819 die Leitung der "Technischen Deputation für das Gewerbe"übernahm und sich seiner neuen Aufgabe mit großem Elan widmete. 1821 eröffnete er seine "Technische Schule", die nun für einen unternehmerisch ausgebildeten Nachwuchs sorgte. Das Wissen um neue Produktionsmethoden wurde publiziert und die Verbraucher sollten durch Gewerbe-Ausstellungen für die neuen Erzeugnisse interessiert werden. Die ersten beiden Messen 1822 und 1827 verliefen noch enttäuschend, die Gewerbeausstellung des Deutschen Zollvereins im Berliner Zeughaus 1844 wurde dann aber ein durchschlagender Publikumserfolg und bildete den Abschluß der preußischen Gewerbepolitik.


Box: Peter Beuth

Christian Peter Wilhelm Friedrich Beuth (* 1781, † 1853) stammte aus Cleve (seit 1935: Kleve). Er begann seine Beamtenlaufbahn im preußischen Finanzministerium und wechselte 1817 in das für die Gewerbepolitik zuständige Handelsministerium. Er vernetzte Unternehmer und Beamtenschaft zunächst bei privaten Zusammenkünften und gründete 1921 als Leiter der "Technischen Deputation für das Gewerbe" den "Verein zur Beförderung des Gewerbefleißes in Preußen". In den "Verhandlungen" des Vereins wurden ab 1822 neue technische Errungenschaften publiziert und so einem breiten Fachpublikum zugänglich gemacht. Im selben Jahr eröffnete er seine "Technische Schule", die es hervorragenden Schulabgängern erlaubte, sich die nötigen Kenntnisse für eine Laufbahn als Unternehmer anzueignen. Bewußt wurde hier auf akademische Ansprüche verzichtet und die Schulzeit auf 2 Klassen beschränkt, was eine strenge Disziplin erforderte. Zu den wichtigsten Einrichtungen der Schule zählten die Modellsammlung und die Laboratorien. Hier wurden neue, meist im Ausland beschaffte Maschinen analysiert und in verkleinerten Modellen nachgebaut. Die Originale wurden dagegen unentgeltlich an Gewerbetreibende abgegeben, die ihrerseits verpflichtet waren, die Maschinen vorzuführen und ihre Erfahrungen mitzuteilen (u.a. erhielt August Borsig auf diesem Weg zum Beginn seiner Laufbahn eine Drehbank). In einer Zeit, die noch kein Patentwesen im heutigen Sinne kannte, praktizierte Beuth im Prinzip einen "Open Source"-Gedanken zum Wohle des nationalen Gewerbelebens. Beuths Technische Schule wurde 1827 in den Stand eines "Königlichen Gewerbe-Instituts" erhoben und 1866 zur "Gewerbe-Akademie" ausgebaut. Zum persönlichen Triumpf und zur Krönung Peter Beuths Lebenswerkes wurde die Gewerbeausstellung des Deutschen Zollvereins 1844, er gilt seither als "Vater der Ingenieurwissenschaften". Aus Altersgründen zog er sich im Folgejahr aus der Politik zurück und verstarb 1853, sein Grab findet sich in Berlin auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof.

Peter Beuths Lebenswerk und seine unbestreitbaren Verdienste um die preußische Gewerbepolitik erfuhren vielfache Ehrungen. In Berlin findet sich seit 1861 am Schinkelplatz ein Denkmal, ein weiteres steht vor dem Deutschen Institut für Normung (DIN), dessen Verlag ebenfalls nach Beuth benannt ist. Hinzu kommen Straßennamen etc. an verschiedenen Orten. Allerdings erhielt das Gedenken an Beuth 2017 eine hässliche Facette durch ein "Informations- und Dikussionspapier" von Prof. Dr. Achim Bühl, der seinerseits an der damals nach Beuth benannten "Berliner Hochschule für Technik" als ordentlicher Professor wirkte (Thissen 2018). Anlaß war eine 2001 bekannt gewordene Rede Beuths, die er 1811 vor der "Deutschen Tischgesellschaft" gehalten hatte, einem Verein von Herren, die der preußischen Reformbewegung nahestanden. Hierbei tat sich Peter Beuth durch antisemitische Hetze der übelsten Art hervor, die selbst einigen seiner z.T. ebenfalls judenfeindlich denkenden Vereinskameraden übel aufstieß. Karl August v. Varnhagen vermerkte auf dem als Autograph Beuths überlieferten Redemanuskript: "Pöbelhaft und schal. Traurige Verirrung!" Weitere Untersuchungen bestätigten den extremen Antisemitismus Beuths und so wurde 2021 beschlossen, den seit 2009 geführten Namen "Beuth Hochschule für Technik Berlin" in "Berliner Hochschule für Technik" (BHT) zu ändern.




1.2 Das Unternehmen "A. Borsig, Berlin"

Das Unternehmen unter August Borsig 1837-1854:

DK11637

August Borsig gründete 1837 seine "A. Borsig, Eisengießerei und Maschinenfabrik" in Berlin vor dem Oranienburger Tor an der Chausseestraße. Anfänglich beschäftigte das Unternehmen rund 50 Mitarbeiter und bestand aus einer Gießhalle mit zwei Schmelzöfen sowie einigen Bretterbuden und einem Göpelwerk für die Werkzeugmaschinen. Ein erster Auftrag über 116.200 Schwellenschrauben für die "Berlin-Potsdamer Eisenbahn" erleichterte den Start, brachte das junge Unternehmen aber auch schon an die Grenze seiner Kapazität. Abhilfe kam von staatlicher Seite als es August Borsig gestattet wurde, einige Soldaten für den Betrieb der Blasebälge zu entleihen. Die lebhafte Entwicklung des Unternehmens spiegelte sich in reger Bautätigkeit auf dem Gelände wider, wo sich bald auch ein Wasserturm und eine eigene Gasanstalt befanden, um die Arbeitsstätten beleuchten zu können. Laut den Erinnerungen eines Mitarbeiters zählte das Unternehmen 1840 rund 300 Beschäftigte, die in 12 h Schichten arbeiteten. Mit 2 Kupolöfen wurden täglich 150-200 Zentner Eisen gegossen, 2 Dampfmaschinen mit Leistungen von 10 und 12 PS trieben diverse Werkzeugmaschinen und Gebläse an.

Anfänglich wurden bei Borsig Eisengußprodukte aller Art gefertigt wie Treppen, Brückengeländer und auch die vier Skulpturen für die Löwenbrücke im Berliner Tiergarten. Dabei erfreute sich das Unternehmen eines ausgezeichneten Rufs als Kunstgießerei. Bald darauf folgte die Fertigung von Dampfmaschinen und Kesselanlagen. Hinzu kam der Bau von Werkzeugmaschinen, die vorwiegend für den eigenen Gebrauch bestimmt waren. Große Beachtung fand die 1842 fertiggestellte Maschinenanlage für die Wasserspiele im Schloßpark von Sanssoucis in Potsdam. Als segensreich erwies sich August Borsigs bautechnische Expertise, auf Grund derer er Eisen als neuartigen Werkstoff für Tragwerke im Hochbau für Brücken, Kuppeln und Bahnhofshallen verwenden konnte. Als prestigeträchtigste Projekte stachen dabei die Kuppelkonstruktionen für die Nicolai-Kirche in Potsdam 1850 und das Berliner Stadtschloß 1851 heraus, eine bautechnische Pionierleistungen war die Konstruktion einer freitragenden Halle ohne Mittelstützen. 1841 stellte August Borsig mit der "BORSIG" die erste Lok aus eigener Produktion vor, die sich auf Anhieb als tauglich erwies. Seine erste eigenständig konstruierte Lok "BEUTH" wurde 1844 auf der "Allgemeinen Ausstellung deutscher Gewerbe-Erzeugnisse" in Berlin mit einer Goldmedaille ausgezeichnet und wurde noch auf der Messe zum Verkaufserfolg. Der Lokomotivbau wurde zur prestigeträchtigsten und einträglichsten Sparte des Unternehmens. Anfang der 1850er Jahre wurden jährlich rund 80 Lokomotiven ausgeliefert, und so konnte man bei A. Borsig 1854 mit der "BORSIG" die 500. Lokomotive feiern. Borsig war damit der dominierende Lokomotivhersteller in Preußen und den deutschen Staaten.

Die schnellen Erfolge nötigten August Borsig schon bald zur Expansion und Weiterentwicklung seines Unternehmens. So entstanden am Oranienburger Tor zusätzliche Werkstätten mit neuen Maschinen und die Produktionsabläufe wurden vom Manufakturbetrieb auf industrielle Massenfertigung ausgebaut. Mit der Produktion wuchs auch der Bedarf an Halbzeugen wie Walzblechen, Stabeisen und Schmiedeblöcken. Diese Materialien wurden aus England, Schlesien und in kleineren Mengen aus Schweden bezogen und auf dem Wasserweg heran geschafft. August Borsig beschloß, nun das Roheisen selbst zu veredeln und errichtete in Moabit bei Berlin ein eigenes Eisenwerk mit einem Puddlewerk, einem Walzwerk sowie einer Hammerschmiede. Das Werk nahm 1850 mit rund 300 Mitarbeitern den Betrieb auf und erreichte bereits 1854 einen jährlichen Ausstoß von 6.500 t Schmiedeeisen. Damit konnten über den hauseigenen Bedarf hinaus auch andere Kunden mit dem allgemein als "Borsig-Eisen" geschätzten Erzeugnis beliefert werden. Zusätzlich erwarb August Borsig 1850 die nahe gelegene Maschinenbauanstalt der "Preußischen Seehandlungs-Sozietät" in Moabit. Diese wurde als Produktionsstandort für stationäre Maschinen etc. eingerichtet, im Gegenzug konnte sich der Standort Chausseestraße ganz dem lukrativen Bau von Lokomotiven widmen.

Als nächsten Schritt plante August Borsig, seine gesamte Wertschöpfungskette von der Rohstoffgewinnung bis zum Endprodukt in die eigene Hand zu nehmen, um mit seinen Erzeugerpreisen wettbewerbsfähig zu bleiben. Gleichzeitig suchte er sich von den Unwägbarkeiten des englischen Marktes für die Rohprodukte Kohle und Eisen sowie von politischen Entscheidungen über Zollbarrieren zu befreien. 1854 erwarb er von dem Grafen Ballestrem die Schürfrechte für Kohlefelder bei Biskupitz, Oberschlesien, sowie Baugrund für ein Hüttenwerk. Als August Borsig am 6. Juli 1854 auf dem Höhepunkt seines Schaffens einem Schlaganfall erlag, hinterließ er Preußens mächtigstes Maschinenbauunternehmen mit rund 1.800 Beschäftigten, das bis dahin 530 Lokomotiven fertiggestellt hatte.


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