4. Borsig Standorte und Anwesen
Borsigwerke Biskupitz, Oberschlesien:
August Borsig beschloß,
auch die Rohstoffversorgung seiner Betriebe aus
eigener Hand zu gewährleisten und erwarb von dem Grafen
Ballestrem in Erbpacht die 3 Steinkohlefelder "Hedwigswunsch",
"Berthawunsch" und "Gute Hedwig" bei Biskupitz
(heute Biskupice), Kreis Zabrze, in Oberschlesien. Dazu kaufte er ein
Gelände, auf dem er die Errichtung einer Hochofenanlage
beabsichtigte. Die Ausführung dieser Pläne war ihm nicht
mehr vergönnt, stattdessen wurde das Vorhaben ab 1854 von seinem
Sohn
Albert Borsig
realisiert, der 1867 auch Anteile an den Gruben
"Ludwigsglück" und "Altenberg II" von der
"Schlesischen Aktiengesellschaft für Bergbau und
Zinkhüttenbetrieb" erwarb. Letztendlich wurde im "Borsigwerk"
Oberschlesien die gesamte Eisenproduktion des Unternehmens zusammengezogen:
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1862 Aufnahme der Kohleförderung.
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1865 Inbetriebnahme der Kokerei und der Hochöfen zur Verhüttung schlesischer Erze.
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1868 Inbetriebnahme der Puddel- , Hammer-, Stabeisen- und Blechwalzwerke.
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1872 Inbetriebnahme des Siemens-Martin-Stahlwerks mit Gießerei.
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Die für die Eisen- und Stahlproduktion notwendige Fachkompetenz
erhielt Albert Borsig durch die Umsiedlung von 131 Facharbeitern mit
ihren Familien aus Moabit, für die eigens die Wohnsiedlung
"Borsigwerk" 1865-68 in Biskupitz errichtet wurde.
Nach der Übernahme der Unternehmensführung durch die
Gebrüder Borsig erfuhr
das Borsigwerk in Oberschlesien umfangreiche Modernisierungen. Hier
wirkte vor allem Conrad Borsig bis zu seinem Unfalltod 1897. Das
Produktionsprogramm des Eisenwerks umfaßte große Guß-
und Schmiedestücke wie Turbinengehäuse, Schiffsschrauben
und -steven, Kurbelwellen sowie Walzen und Walzenständer.
Weitere Abteilungen befaßten sich mit Kessel-, Rohr- und
Behälterbau. Die Kokerei veredelte Steinkohle zu Koks und
lieferte als Nebenprodukte Gas, Teer, Ammoniak und Benzol. 1909 wurde
die "Sandbahn-Gesellschaft der Gräflich von Ballestremschen
und A. Borsigschen Steinkohlewerke" gegründet mit einer
Streckenlänge von 23 km. Diese beförderte Versatzmaterial
zum Verfüllen der ausgebeuteten Kohleflöze. Die 1929 zum
75-jährigen Bestehen des Standortes veröffentlichten
Angaben zeigten die Dimensionen der gesamten Unternehmung: Die Grube
Hedwigswunsch zählte rund 4.400 Mitarbeiter und förderte
jährlich 1,5 Mio. t Kohle, die Grube Ludwigsglück förderte
mit 3.250 Mitarbeitern 1,2 Mio. t Kohle, das Eisenwerk beschäftigte
weitere 2.600 Mitarbeiter. Die Siedlung Borsigwerk bestand aus 79
Mehrfamilienhäusern, 3 großen Gebäuden für
ledige Arbeiter, 1 Schule mit evangelischer Kapelle, 1 Kindergarten,
1 Gasthaus mit Hotel, sowie Geschäften, 1 Kasino, 1 Bibliothek
und 1 Sportplatz mit Halle.
Die Weltwirtschaftskrise 1929 traf das Borsigwerk Oberschlesien mit
voller Härte. Die Produktion der Hütte brach um 60 % ein,
woraufhin das Werk 1930 stillgelegt und abgerissen wurde. Die Gruben
fusionierten 1932 mit der "Oberschlesische Kokswerke und
Chemische Fabriken AG" (Teil des Schering Konzerns) zur
"Borsig-Kokswerke AG". Nach 1945 gelangten die Gruben zum
"Hindenburger-Steinkohlebergbau-Verband" und wurden nach
1980 wegen Erschöpfung der Flöze schrittweise aufgelöst.
Borsigwerk Tegel:
Für das neue Borsigwerk erwarben die
Gebrüder Borsig
1894 ein geeignetes Gelände in Tegel bei Berlin zwischen der Berliner Straße und
dem Tegeler See. Mit einigen späteren Zukäufen ergab sich ein Areal, das im
Norden durch die Veitstraße und im Süden durch die
Egellsstraße begrenzt wurde. Mit dem Anschlußgleis zum
Bahnhof Tegel der Berlin-Kremmener Bahn und der Anlage eines eigenen
Hafens bot die Lage eine hervorragende Verkehrsanbindung. Das neue
Werk sollte allen Ansprüchen modernster industrieller
Fertigungstechniken genügen und so unternahmen Ernst Borsig mit
den Ingenieuren seines Planungsstabes verschiedene Studienreisen in
das europäische Ausland und die USA. Der eigentliche Baubeginn
erfolgte im Frühjahr 1896, der Bezug erfolgte 1898/99. Sowohl
intern als auch in der Öffentlichkeit bürgerte sich der
Name "Borsigwerk" für das neue Werk ein, obwohl diese
Berzeichnung eigentlich schon für die schlesische Niederlassung vergeben war.
Die Gesamtanordnung des neuen Werks und die Entwürfe der Stahlbauten lieferte der
Oberingenieur Metzmacher, die architektonische Ausgestaltung
übernahmen die Reg.-Baumeister Reimer und Körte. Die Anlage
wurde entsprechend dem Arbeitsprozeß von West nach Ost
konzipiert, beginnend mit der Rohstoffanlieferung am Werkshafen und
einem eigenen Kraftwerk. Hierauf folgten
Gießerei und Hammerschmiede, Montagehalle und diverse
Werkstätten sowie schließlich Lokmontage und
Kesselschmiede. An der Südostecke entand das Verwaltungsgebäude
und das Werkstor, links davon lag der Gleisanschluß, über
den die fertiggestellten Loks auf ihre Reise gingen. Hinzu kamen
soziale Einrichtungen wie ein Kasino und ein 3-stöckiges
Wohnhaus für Beamte an der Ecke Berliner-/Ernststraße (bis
1939 Gaswerksstraße).
In den folgenden Jahrzehnten wurden nach Bedarf verschiedene Gebäude hinzugebaut,
darunter 1922-24 der von dem Architekten Eugen Schmohl entworfene
"Borsigturm" als Berlins erstem Hochhaus. Der 12-stöckige
Stahlskelettbau mit expressionistischer Backsteinfassade bot
Büroflächen sowie im obersten Geschoß einen Festsaal,
im 9. Stock sicherte ein Hochbehälter die Wasserversorgung des
Werks. Während des 2. Weltkrieges wurden rund 80 % des Tegeler
Werkes zerstört und in den folgenden Jahrzehnten durch Neubauten
ersetzt. Lediglich vereinzelt überstand historische Bausubstanz
die Zeiten und wurde unter Denkmalschutz gestellt. So blieben u.a.
das Werkstor und das Verwaltungsgebäude von 1897/98 sowie der
ikonische Borsigturm erhalten, als der größte Teil des
Werksgeländes 1988 an den Berliner Senat verkauft wurde. Seither
wurden die jüngeren Gebäude abgetragen und das frei
zugängliche Gelände als Gewerbegebiet entwickelt. So
eröffnete 1999 hier u.a. das Einkaufzentrum "Hallen am
Borsigturm", in dessen Fassade alte Hallenfronten integriert
wurden und dessen filigranes Tragwerk die ehemaligen Hallendächer
nachempfindet. Auch der Borsighafen wurde 2009 reaktiviert
und erhielt eine Roll-on/Roll-off-Rampe sowie eine neue Kaimauer mit
einer Plattform für Spezialkrane, geeignet für Schwerlasten von bis zu 500 t.
Das Borsig-Gelände in Tegel wurde durch eine schmalspurige Werksbahn erschlossen,
deren Gleise eine Länge von 40 km erreichten (Stand 1937). Die Borsig Werksbahn in Tegel
verfügte über einige Loks zur Bedienung des
Bahnanschlusses und zum innerbetrieblichen Verschub. Lange wurden
hier Tenderloks aus eigener Produktion verwendet, von denen "BORSIG
8" (Borsig 10661 / 1920) bei den "Bielefelder
Eisenbahnfreunden e.V.") erhalten blieb. Ab den 1960er Jahren
folgten 2 zweiachsige Dieselloks ("Lok 1": O&K 26748 /
1972, Typ MB170N, "Lok 3": O&K 26606 / 1966, Typ MB7N),
die im Rahmen eines Kompensationsgeschäftes um 1981 und -83
durch 2 Loks aus der sowjetischen "Woroschilowgrader
Diesellokomotivfabrik" (WTS) abgelöst wurden. Die beiden
C-gekuppelten dieselhydraulischen Loks des Typs TGM23B (WTS 7222 /
1981 und - / 1983) wurden auf Regelspur umgebaut und bereits Ende
1989 an die DR abgegeben, wo sie schließlich verschrottet wurden.
Standort: Berliner Str. 24-37, 13507 Berlin; GPS: 52°34'58.3"N 13°17'21.4"E,Übersicht der
historischen Bausubstanz.
Box: Schmied und Gießer
Die Figuren "Schmied" und "Gießer" (zeitgenössische
Quellen nennen Letzteren wohl zu Recht "Puddler") sind auf
eine ganz eigene Weise mit der Geschichte des Hauses Borsig
verbunden. Sie entstanden als Dekoration anläßlich des
Borsig-Festes zur Fertigstellung der 500. Lokomotive, wo sie 1854
eine Büste August Borsigs flankierten. Ab 1858 schmückten
sie die Ausfahrt des Lokhebewerkes an der Rückseite des
Borsig-Standortes Chausseestraße und 1867 wurden sie am Tor des
Eisenwerkes in Moabit aufgestellt. Nach dem Umzug an den neuen
Standort Tegel fanden sie 1898 an den Türmen des Werkstores
Platz. In Zuge der Instandsetzung dieses Bauwerkes wurden die Figuren
1990 abgenommen, wobei erhebliche Korrosionsschäden festgestellt
wurden. Die restaurierten Plastiken wurden ab 1993 verschiedentlich
ausgestellt und sind seit 2013 im Museum Reinickendorf zu sehen. Am
Werkstor in Tegel wurden dagegen galvanoplastische Repliken montiert.
Die beiden überlebensgroßen Standbilder wurden vermutlich
von Gustav Blaeser gestaltet und sind aus verlöteten
Zinkblechteilen zusammengesetzt, die farbige Oberfläche täuscht
Sandstein als Material vor. Bei den präsentierten Werkzeugen
handelt es sich um Originale aus dem Borsigwerk in der Chausseestraße.
Standort: Museum Reinickendorf, Alt-Hermsdorf 35, 13467 Berlin; GPS: 52°36'55.6"N 13°19'7.3"E
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Borsigwalde
Zur Zeit der Anlage des Borsigwerkes Tegel gab es in nächster Umgebung kaum
geeigneten Wohnraum, so daß der Bau einer Arbeitersiedlung
notwendig wurde. Daher erwarb die 1898 eigens gegründete
"Terraingesellschft Tegel mbH" rund 50 ha Agrarfläche
in der Dalldorfer Heide und errichtete hier ab 1899 eine Siedlung.
Der naheliegende Name "Arbeiterkolonie Dalldorf" wurde
verworfen, da die dort ansässige "Berliner Städtische
Irrenanstalt Dalldorf" den Ortsnamen bereits in Verruf gebracht
hatte. Man einigte sich auf "Borsig-Walde", die Gemeinde
Dalldorf folgte 1905 ihrerseits und benannte sich kurzer Hand nach
ihrem verstorbenen Amtsvorsteher Peter Witte "Wittenau",
die Heilanstalt wurde 1957 in "Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik" umgetauft.
Ab 1899 entstanden in Borsigwalde Einfamilienwohnhäuser für besser verdienende
Mitarbeiter, denen der Erwerb der Immobilien durch die Vergabe
günstiger Hypotheken erleichtert wurde. Für
Arbeiterfamilien gab es 2- und 3-stöckige Mietshäuser, die
trotz ihrer standardisierten Grundrisse durch unterschiedliche
Fassadengestaltungen in gotisch-barocker Stilmischung ein
abwechslungsreiches Ensemble bildeten. Im Hofbereich hinter den
Gebäuden wurden Parzellen angelegt, die den Mietern die
Selbstversorgung mit Gemüse aus dem eigenen Garten ermöglichten.
Allerdings gab es in den ersten Jahren keinen Anschluß an die
städtische Wasserversorgung und Kanalisation. Jede
Hausgemeinschaft verfügte über einen gemeinsamen Abort im
Keller, je 5 Grundstücke teilten sich auf dem Hof einen
Abessinerbrunnen (Rammbrunnen) mit Handschwengelpumpe. Fäkalien
und Müll wurden in den Gärten einfach verbuddelt, es traten
Fälle von Typhus auf. In den Straßenzügen Räusch- und Schubartstraße
sind zwischen Ernst- und Holzhauser Straße die Fassaden der
Borsig´schen Arbeitersiedlung weitgehend im Originalzustand des
ersten Bauabschnitts von 1899 erhalten. Die erste Ausbaustufe der Werkssiedlung
wurde 1909 abgeschlossen, gefolgt von Erweiterungen in den 1920er und
-30er Jahren. Die Wohnanlagen anderer Baugesellschaften erweiterten
Borsigwalde, das seit 2012 zum Bezirk Reinickendorf gehört. 1988 wurden
die von der "Borsig-Wohnungsbau GmbH" unterhaltenen Mietshäser an die
"Gesobau AG" verkauft.
Siedlung Borsigwalde, Räusch- / Schubartstraße, 13509 Berlin; GPS: 52°34'58.6″N, 13°18'14.1″E
Zentralbüro Chausseestraße:
Das Zentralbüro der "OHG A. Borsig" (ab 1920 "A. Borsig
Zentralverwaltung GmbH") bezog 1899 ein eigenes
Verwaltungsgebäude in der Chausseestr. 13 (damals Chausseestr.
6) in nächster Nähe zum bereits abgetragenen Stammwerk am
Oranienburger Tor. Der Bau entstand nach Plänen der Architekten
Reimer & Körte mit einem viergeschossigen Hauptgebäude
und drei schlicht gehaltenen Flügelbauten um einen viereckigen
Hof. Die Sandsteinfassade wurde im neogotischen Stil ausgeführt
und mit der Bronzeskulptur eines Schmiedes von Gotthold Riegelmann
geschmückt. Die repräsentativen Direktionsräume
befanden sich in der Beletage und waren mit Möbeln und Einbauten
eingerichtet, die aus dem früheren Firmensitz am Oranienburger
Tor stammten. Einige dieser Einbauten blieben bis heute erhalten,
desgleichen der von 3 Seiten begehbare Tresorraum, der sich aus
statischen Gründen nicht entfernen ließ. Nach dem Konkurs
des Hauses Borsig 1931 behielt die OHG A. Borsig (ab 1937 "Borsigsche
Vermögensverwaltung") ihren Sitz in der Chausseestraße,
bis sie Ende der 1950er Jahre nach West-Berlin übersiedelte und
1981 ihre Tätigkeit nach der Veräußerung der letzten
Immobilien einstellte. In Folge der Deutschen Wiedervereinigung
erwarb das "Versorgungswerk der Zahnärztekammer" das
Gebäude als Anlageobjekt und restaurierte 1996-99 den
mittlerweile denkmalgeschützten Komplex aufwendig.
Borsig Zentralverwaltung: Chausseestr. 13, 10115 Berlin; GPS: 52°31′44.9″N 13°23′7.3″E