2. Borsig Lokomotiven

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2.1 Lokomotivbau bei A.Borsig

Loks aus den Werken Chausseestraße und Moabit:
August Borsig sammelte seine ersten Erfahrungen mit Dampfloks, als er von der "Berlin-Potsdamer Eisenbahn" mit der Reparatur ihrer Lokomotiven beauftragt wurde. So hatte er Gelegenheit, neben den verbreiteten britischen Mustern mit der Achsfolge 1 A 1 von Stevenson auch die amerikanischen Lokomotiven mit der Achsfolge 2‘ A von William Norris zu studieren. 1841 präsentierte August Borsig dann seine erste Lokaus eigener Herstellung, bei deren Konstruktion er die Vorzüge der beiden genannten Modelle kombinierte. Von Norris übernahm er das führende Drehgestell und die außenliegenden Zylinder, die er durch eine Stevenson-Steuerung ergänzte und eine weitere Laufachse hinter der Feuerbüchse hinzufügte. Die Lok "BORSIG" mit der Achsfolge 2‘ A 1 ging an die "Berlin-Anhaltische Eisenbahn" und überzeugte von Anfang an durch ihre Leistung und Zuverlässigkeit. Aus seinem robusten Selbstvertrauen heraus initiierte August Borsig eine Wettfahrt gegen eine Stevenson-Lok, die am 24. Juli 1841 zwischen Berlin und Jüterbog ausgetragen wurde. Trotz eines mutmaßlichen Sabotageversuchs seitens der englischen Konkurrenz gelang es ihm, auf einer Strecke von rund 68 km einen Zeitvorsprung von 10 Minuten herauszufahren und so den hervorragenden Ruf seiner Lokomotiven zu begründen. Im selben Jahr begannen übrigens auch die Maschinenfabrik J. A. Maffei in München sowie Emil Kessler in Karlsruhe mit dem Lokomotivbau und debütierten mit den Loks "DER MÜNCHNER" bzw. "BADENIA".

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Bei allen nachfolgenden Lokomotiven führte August Borsig beständig Verbesserungen aller Art ein, wobei er zu der allseits üblichen Achsfolge 1 A 1 wechselte. Seine 1844 auf der Gewerbeausstellung des Deutschen Zollvereins prämierte Lok "BEUTH" wurde zum Namensgeber einer Lokomotivklasse, die Borsig in insgesamt 71 Exemplaren baute. Hinzu kamen Loks für Güter- und Personenzüge mit 1 B-gekuppelten Fahrwerken. Maschinen der Bauart Crampton blieben dagegen die Ausnahme, da sie nicht seinem Grundsatz eines möglichst hohen Adhäsionsgewichts auf der Treibachse folgten. Schließlich konnte 1854 kurz vor August Borsigs Ableben die Auslieferung der 500. Lok gefeiert werden.

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Auch sein Sohn Albert Borsig setzte während seiner Firmenleitung auf eine stetige technische Weiterentwicklung. Er richtete das Werk in der Chausseestraße ganz auf die Massenfertigung aus und konnte bereits 1858 die 1.000-ste Lok feiern. So wurden aus den 1 A 1-Schnellzugloks die Borsig´schen "Schnellläufer", die in 458 Exemplaren gefertigt und damit zum Standard bei den norddeutschen Bahnverwaltungen wurden. Hinzu kamen C- und D-gekuppelte Güterzugloks sowie erste Tenderloks. In der anschließenden Periode unter der Verantwortung des Nachlaßkuratoriums wurde der Lokbau aber zunehmend vernachlässigt. Dessen Niedergang kulminierte in dem nie vollständig umgesetzten Beschluß, den Lokomotivbau nach Auslieferung von über 4.200 Loks gänzlich aufzugeben und den Markt den Mitbewerbern zu überlassen.

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Loks aus dem Werk Tegel:
1894 übernahm die Enkelgeneration die Leitung des Unternehmens. Unter Ernst und Conrad Borsig wurde 1898 das neue Werk in Tegel bei Berlin eröffnet und der Lokomotivbau mit großem Engagement wieder aufgenommen. Mit innovativen Konstruktionen und vorbildlicher Qualität zählte Borsig zu den weltweit führenden Lokherstellern und steigerte bis 1909 seine Jahresproduktion auf den Allzeitrekord von 419 Loks. Gleichwohl blieb die Position des führenden europäischen Lokomotivherstellers verloren, die nun Henschel unangefochten behauptete. 1900 wurde die erste Borsig-Heißdampflok auf der Pariser Weltausstellung gezeigt und Ernst Borsig dabei zum Ritter des Ordens der Französischen Ehrenlegion ernannt. Der Exportanteil der Borsigloks lag bei 50 % und abgesehen von Nordamerika und der Antarktis wurde auf jeden Kontinent und in alle Klimazonen geliefert. Man konnte so ziemlich jedem Kundenwunsch entsprechen, lieferte in Meter- oder Zollmaßen und konnte selbst extreme Zeitvorgaben erfüllen: 1911 wurde ein Auftrag über 12 Heißdampfloks nach Japan pünktlich erfüllt, wobei von der Bestellung bis zur Abnahme nur 3 Monate inkl. Schiffspassage blieben. Besonders stolz war man 1914 auf eine Lieferung von 10 Schnellzugloks nach Großbritannien, dem bis dahin ersten Export in das Mutterland des Dampflokbaus überhaupt. Eine ganz eigene Spezialität des Hauses Borsig waren die schweren Tenderloks der Achsfolge 1' E 1', die zur Beförderung schwerster Züge auf kurze Distanz konzipiert waren und sich durch eine hohe Adhäsionslast auszeichneten. Als erstes Exemplar lieferte Borsig die "MAMMUT" an die "Halberstadt-Blankenburger Eisenbahn" (HBE), wo sie den Zahnradbetrieb auf den Steilstrecken im Harz ablöste. Borsig entwickelte das Konzept 1922 weiter zur Baureihe KPEV T 20 / DRG BR 95, die als "Bergkönigin" bekannt wurde. Weitere überschwere Maschinen ähnlicher Bauart gingen als "Sandbahnloks" an verschiedene Kohlegruben in Oberschlesien. Die Einheitsloks DRG BR 85 von 1932 für die Steilstrecken der Höllentalbahn im Schwarzwald fußten ebenfalls auf diesem Konzept, wurden aber von Henschel entwickelt und gebaut.

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In großer Zahl lieferte Borsig Loks für Werks- und Plantagenbahnen. Darüber hinaus entstanden auch etliche Sonderlokomotiven und einige experimentelle Fahrzeuge bei Borsig. 1911 wurde hier die Diesel-Klose-Sulzer Thermolokomotive sowie einige Loks mit elektrischem Antrieb von Siemens-Schuckert gebaut. Allerdings entwickelte man bei Borsig für keine dieser Antriebsformen ein nachhaltiges Interesse, vielmehr setzte man weiter auf die bewährte Dampftechnik. Der Ausbruch des 1. Weltkrieges 1914 unterband dann das Exportgeschäft schlagartig. Gleichwohl blieben die Produktionszahlen bei Borsig hoch, da nun vorwiegend Güterzugloks für die Deutschen Bahnverwaltungen sowie schmalspurige "Brigadelokomotiven" für die Heeresfeldbahnen gebaut wurden. Den Abschluß der Borsig-Entwicklung von Personenzugloks für preußische Bahnen bildete die Bauart KPEV P 10 (DRG/DB/DR 39), die ab 1922 in 260 Exemplaren von verschiedenen Herstellern gebaut wurde.

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Einheitsloks und Ende des Lokbaus:
Mit der Gründung der Weimarer Republik änderte sich das Lokomotivgeschäft erneut grundlegend. 1920 wurden die bisherigen Länderbahnen verstaatlicht und 1924 als "Deutsche Reichsbahn Gesellschaft" (DRG) neu aufgestellt. Es galt, den im Krieg verschlissenen und durch Reparationsleistungen ausgebluteten Fahrzeugbestand zu erneuern. Anstatt der fortgesetzten Nachbeschaffung von Länderbahnmustern, sollte das Konzept der Einheitslokomotiven den Betrieb rationalisieren. Der "Deutsche Lokomotiv-Verband" gründete daher 1922 als zentrales Konstruktionsbüro der DRG ein "Vereinheitlichungsbüro", das ein entsprechendes Typenprogramm auflegte. Das Büro wurde auf dem Borsiggelände in Berlin-Tegel unter der Leitung des Borsig-Chefkonstrukteurs August Meister angesiedelt und durch Fachkräfte aller beteiligten Hersteller gebildet. Die Beschaffung der Lokomotiven wurde nach einer Quotenregelung der DRG auf die Unternehmen verteilt. Die Liste führte Henschel mit 21 %, gefolgt von BMAG und Hanomag mit je 10 % sowie Borsig mit 8 %, weitere folgten mit geringeren Quoten. Die DRG erhielt ab 1925 ihre Einheitsloks, die sich trotz ihrer prominenten Wahrnehmung aber nur langsam durchsetzen konnten. So gab es 1934 nur rund 1.000 Einheitslokomotiven, die 4 % des Gesamtbestandes der DRG von rund 25.000 Einheiten ausmachten. Zahlenmäßig setzten sich dabei die Baureihen 01, 03, 24, 41, 64 und 86 sowie die Güterzuglokreihen 44 und 50 durch. Die beiden Letzgenannten wurden nach 1939 als Kriegsloks zu Tausenden u.a. bei BLW produziert.

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Vor dem Hintergrund der begrenzten Investitionen der DRG blieb für Borsig der Exportmarkt eine entscheidende Größe, wobei auch hier das Prinzip der Vereinheitlichung bedeutsam wurde. 1920 konnte Borsig ein Kontingent von 57 Loks aus dem russischen Großauftrag an die schwedische NoHAB gewinnen unter der Bedingung, daß alle Teile mit den übrigen Lokomotiven austauschbar waren. 1929 teilte man sich einen Auftrag der Jugoslawischen Staatsbahn mit der Berliner Maschinenbau AG (BMAG) über 40 Schnellzugloks (Achsfolge 2‘ C 1‘), 30 Personenzugloks (Achsfolge 1‘ D 1‘) und 40 Güterzugloks (Achsfolge 1‘ E). Dabei übertraf der Grad der Vereinheitlichung innerhalb dieser Lokfamilie teilweise den der DRG-Einheitsloks.


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